Mayen. „Ich bin Niemand. Und ich möchte zurück nach Hause!“, ruft der sechzehnjährige David im Probenraum des Mayener Jugendhauses. Der Schüler übernimmt im aktuellen Projekt des Jugendclubs der Burgfestspiele die Rolle des Odysseus, der nach zehn Jahren im Krieg endlich die Heimreise antreten will und noch nicht weiß, dass er weitere zehn Jahre durch den Mittelmeerraum irren wird.
Michaela Hoffmann, die Leiterin des Jugendclubs, ist studierte Theaterwissenschaftlerin und Archäologin. Kein Wunder also, dass sie sich den antiken Stoff der ODYSSEE vorgenommen hat und ihn gemeinsam mit den jungen Spielerinnen und Spielern im Alter von 14 bis 18 Jahren von allem Staub befreien und auf seine Gültigkeit für die Gegenwart abklopfen will.
Und so sind neben der antiken Heldenfigur des Odysseus noch eine Menge anderer Gestalten auf dem Weg, die sich auch alle als „Niemand“ vorstellen: Junge Menschen auf der Suche nach einer neuen Heimat, auf der Suche nach sich selbst, auf der Suche nach ihrem Platz in der Welt. Die Abenteuer, die Odysseus auf seiner langen Reise erlebt, werden auf diese Weise immer wieder in Verbindung zu biografischen Erfahrungen der jungen Spieler gesetzt.
In einer Episode der Odyssee landen Odysseus und seine Gefährten auf der Insel der Lotophagen und verfallen dort dem verführerischen und Vergessen machenden Göttersaft. Der Jugendclub übersetzt diese Episode in die Geschichte einer Spielsucht und finden sich plötzlich in einem immersiven Videospiel wieder.
„Zocken“ – das ist eine Freizeitbeschäftigung, die viele Jugendliche kennen und die ihnen hilft, dem Stress des Alltags zu entkommen, die aber auch eine große Suchtgefahr beinhaltet.
Aber auch ganz andere Geschichten finden Eingang in das Projekt. Etwa die Lebensgeschichte von Mohammed, der als fünfzehnjähriger Junge über das Mittelmeer nach Europa geflohen ist – auf der Suche nach einer neuen Heimat, in der er sich endlich sicher fühlen kann. Der junge Mann hat eine moderne Odyssee von Syrien über den Libanon, Türkei, Griechenland, den Balkan und Österreich hinter sich, bis er schließlich in Mayen gelandet ist.
Die Gruppe trifft sich seit Mitte Januar einmal in der Woche im Mayener Jugendhaus. Jugendhausleiter Björn Zielke begleitet das Projekt intensiv und schlägt immer wieder Brücken zwischen den Jugendlichen, die von außen kommen und denen, die regelmäßig die Angebote der Jugendarbeit wahrnehmen. Wie zum Beispiel Otari aus Georgien, der vor allem die Bühnenkampf-Proben sehr genießt. Hier kann er seine Vorkenntnisse einbringen und erarbeitet in kürzester Zeit mit seinem Spielpartner eine spektakuläre Kampfszene. „Ich würde gerne mal Stuntman werden“, verrät er schmunzelnd. Auch David genießt die Theaterproben. „Ich könnte mir vorstellen, sowas auch mal beruflich zu machen“, sagt er. Die vierzehnjährige Sophia pflichtet ihm bei: „In der Grundschule habe ich gesungen, da mochte ich das schon, auf der Bühne zu stehen. Und Theater habe auch schon gespielt, das war auf Russisch, da habe ich eine Maus gespielt!“ Spielleiterin Michaela liebt die Arbeit mit den jungen Menschen. „Hier kann man ganz viel über das Theater lernen, eine Menge toller Menschen kennenlernen und sich in ganz unterschiedlichen Bereichen ausprobieren“, schwärmt sie.
Interessierte junge Menschen können sich noch für eine Teilnahme per Mail an fsj-kultur@burgfestspiele-mayen.de anmelden. Nach der Phase der Stückentwicklung werden die intensiveren Proben Ende April starten. Das Ergebnis der Arbeit wird Anfang Juli auf der Bühne der Burgfestspiele im Alten Arresthaus präsentiert. Das Projekt wird gefördert durch das Bundesprogramm „Kultur macht stark“ des Bundesministeriums für Bildung und Forschung.